Donnerstag, 20. Januar 2011

Meuterei-Vorwurf auf der "Gorch Fock"




"Gorch Fock" – Diebstahl, Demütig


Es sind schockierende Zustände: Ein Ex-Offiziersanwärter der Bundeswehr erzählt, was er auf der berühmt-berüchtigten "Gorch Fock" erdulden musste.

Hans Wurst* gehörte einst zu den Offiziersanwärtern der „Gorch Fock“. Jetzt schildert er auf "Welt Online" die Missstände an Bord des Vorzeigeschiffs:

Im Juli 2004 ging ich in Kiel an Bord der „Gorch Fock“. Zwei Wochen „Segelvorausbildung“, dann sollten wir unter vollen Segeln in See stechen. Ich gehörte als sogenannter Seiteneinsteiger zu den dienstältesten Offiziersanwärtern an Bord. Als Seiteneinsteiger hatte ich bereits zuvor eine Grundausbildung absolviert und war danach im Einsatz am Horn von Afrika. Für die Laufbahn der Offiziere entschied ich mich erst später und wusste grob, auf was ich mich einließ – aber nicht, was an Bord auf mich zukommen sollte.
Die „Fock“, wie wir sie kurz nannten, sucht man sich nicht aus. Sie ist fester Bestandteil des Offiziersgrundlehrgangs. Erzählungen über den Segler hatten mir Bauchschmerzen bereitet. Die Stammbesatzung, viele in Rängen unter mir, verhielt sich überwiegend respektlos. Gleich zu Beginn der Ausbildung waren die Lager klar: Offiziersanwärter auf der einen, Stammbesatzung und Schiffsführung auf der anderen Seite. Wer sich über die gesamte Ausbildungszeit unterwarf und spurte, konnte dann und wann die Grenzen zur Besatzung überwinden. Wer sich jedoch nicht unterwürfig verhielt, wurde – wie in meinem Fall –, gern mit scharfem Ton und Blick in die hohen Masten vermittelt: „Pass bloß auf, da oben sind wir allein!“, hieß es dann drohend. Hier gab es kein Miteinander.

"Meuterei" – Wenn zwei Offiziere zusammenstanden

Aus meiner Sicht irrt, wer später behauptet, durch den erzeugten Druck des Gegeneinanders würde der angestrebte Crewgedanke geformt. Nach unserer firmeneigenen Philosophie der inneren Führung wird Zusammenhalt durch Offenheit, Vertrauen und Akzeptanz geschaffen, nicht durch Ab- und Ausgrenzung.
Von „Meuterei“ sprachen Ausbilder bei uns im Spaß, wenn mehr als zwei angehende Offiziere zusammenstanden und sich unterhielten. Doch aus Spaß kann schnell Ernst werden. Bei uns kam großer Ärger auf, weil wir nachweisbar und wiederholt von der Stammbesatzung beklaut wurden. Wenn es auch bei uns zu einem Todesfall wie jenem von Sarah S. gekommen wäre – die Reaktionen hätten sich zu denen von heute wohl nicht unterschieden, so groß war der Groll.
Gewöhnlich steht jeder militärische Führer hinter seinen ihm anvertrauten Soldaten. Besonders im Einsatz und auf hoher See. Die Schilderungen jetzt zeigen, dass das auch bei Sarah S. nicht der Fall war. Sie hatte, wie ich, als Unteroffizier schon Vordienstzeit. Sie stand ebenfalls im Einsatz am Horn von Afrika ihren „Mann“. Als ich während meiner Ausbildungszeit, ebenso wie in den Medien heute geschildert, als Dienstältester zwischen Führung und Offizieren fungieren sollte, wurde ich oft konfrontiert mit Ignoranz, ungehaltenen Versprechen und Herunterredereien. So könnte ich es nachzuvollziehen, wenn sich junge Soldaten vor diesem Hintergrund unverstanden fühlen und ihre Trauer und Wut wohlmöglich in Aufbegehren umschlägt.

Brandgefährliches Rauf und Runter

Bei einer maximalen Höhe von 45 Metern endet spätesten bei Wind und Wellengang jegliches Kinderspiel. Hinzu kommen Müdigkeit und Stress. Wenn wir nachts während unserer Seewache müde wurden, ließ man uns zum „Wachwerden“ übungsweise auf- und abentern. Im Ernstfall schlagartig fit zu sein ist für jeden Soldaten elementar, sicherlich. Jedoch ist die „Fock“ in keinem Einsatz, in keinem Krisengebiet. So empfand ich das ständige Rauf und Runter als wenig sinnvoll, sogar für brandgefährlich.
Auf keinem anderen Schiff in der Marine geht man nachts auf hoher See so unbedacht ans Werk. Als „Posten Back“ etwa steht man in der Nacht vorne, nahe der Galionsfigur des Großseglers. Von dort „singt“ man alle halbe Stunde mit einer alten Flüstertüte an den wachhabenden Offizier die Beobachtungen auf See aus, macht also Meldung. Angesichts moderner Radartechnik völlig überholt und nur der Tradition wegen – eine riskante Tradition. Darf man auf einer Fregatte höchsten zu zweit bei Nacht an Oberdeck, so steht man hier alleine, meldet sich nur alle halbe Stunde. Einem meiner Kameraden fiel bei Seegang die Flüstertüte aus der Hand. Aus Sorge vor Ärger sprang er dem Blechkegel hinterher, landete im Fangnetz vor dem Bug. Er wurde erst eine Stunde später entdeckt und geborgen! Im September 2008 musste ich an diese Unbedachtheit der Schiffsführung denken, als die Meldung kam, dass die Offiziersanwärterin Jenni B. bei Dunkelheit außenbords ging und in der Nordsee ertrank.

Ort des Todes

Sechs Soldaten starben angeblich in den letzten zwölf Jahren der insgesamt 52 Dienstjahre der „Gorch Fock“. Seit acht Jahren sind wir mit der Marine in unserem primären Einsatzgebiet am Horn von Afrika. Mir ist nach vielen Jahren als Zeitsoldat und Offizier nicht bekannt, dass dort Soldaten an Bord von Fregatten oder Versorgern ihren Tod fanden. Ferner schwebt mir kein anderer Ort vor, an dem so viele Marinesoldaten starben wie auf der „Fock“, einem Ausbildungsschiff! Und als ich damals sah, wie vor dem In-See-Stechen der „Fock“ Kisten von Kaviar an Bord geschleppt wurden, dachte ich an meine vorangegangene Zeit auf einer Fregatte am Horn von Afrika: Dort durften wir unsere Mails aus Kostengründen nicht einmal ausdrucken. Im Übrigen wurden die schon damals stichprobenartig gelesen, aus Sicherheit, aber gegen das Briefgeheimnis.

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